Jede Einsprachigkeit ist dumm

Versorgerinnen-Artikel März 2014, Krampfader 2014
Versorgerin # 101
01.03.2014 (All day)

Rubia Salgado saß bei der Veranstaltung „Feministische Perspektiven“, die im Jänner stattgefunden hat, am Podium. Ein Interview mit Rubia Salgado über die Arbeit im feministisch-migrantischen Kontext und über maiz. Von Tanja Brandmayr.

 

maiz ist ein unabhängiger Verein von und für Migrantinnen mit dem Ziel, die Lebens- und Arbeitssituation von Migrantinnen in Österreich zu verbessern. Sie kritisieren sehr stark die Standarderzählungen über Migrantinnen – die Migrantin als Opfer von Gewalt, die Migrantin als nicht-autonomes Subjekt. Können Sie vielleicht kurz benennen, welches Selbstverständnis hinter der Arbeit von maiz steckt?

 

RS: Das erklärte Ziel der Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation von Migrantinnen kann zur Interpretation verleiten, Migrantinnen seien Opfer, die Hilfestellungen benötigen würden. Eine Haltung, die im Sozial- und im Bildungsbereich häufig beobachtet werden kann, trotz Tarnung durch die Ansätze der Hilfe zur Selbsthilfe, des Empowerments oder der Förderung der Selbstständigkeit. In maiz gehen wir davon aus, dass die diskriminierenden Strukturen und Praxen verändert werden sollen. Es geht nicht darum, die Migrantinnen zu „empowern“, damit sie sich in die gegebenen Verhältnisse integrieren.

Daher vermeiden wir es, über die Migrantinnen zu sprechen. Und wir weigern uns, für die Migrantinnen zu sprechen. Wir positionieren uns dezidiert gegen jede Versuchung, die Migrantinnen aus einer vermeintlichen Unterdrückungssituation zu befreien. Verschränkt mit der Arbeit zur Transformation der gegebenen Ungleichheitsverhältnisse bevorzugen wir hingegen, über die Zuschreibungen, die den Migrantinnen erteilt werden, und nicht über die Migrantinnen, zu denken, zu reden, zu schreiben. Wir sind bemüht, mit den Migrantinnen in maiz einen dialogischen Prozess aufzubauen, ohne das Ziel zu verfolgen, sie zu ermächtigen. Denn uns ist es bewusst, dass das Ziel, jemanden zu ermächtigen, notwendigerweise mit der Unterstellung von Ohnmacht, bzw. Defizit an Ermächtigung als gegeben einhergeht. Anders formuliert: „der Diskurs der Emanzipation schafft die Subjekte, die er zu befreien vorgibt“ (Castro Varela / Dhawan 2004). Dieser Diskurs sei normativ, denn er produziere Kriterien, wonach bestimmt wird, wer als emanzipiert gelten kann oder nicht. Da stellen die Autor_innen die Frage: „Warum etwa gilt die Managerin einer Bank als emanzipiert, während die marokkanische Putzfrau als nicht emanzipiert beurteilt wird?“ (...) „Emanzipation“, schreiben sie weiter, „zeigt sich hier eng verwoben mit einem humanistischen Diskurs, der der Wilden quasi bedarf, um Menschlichkeit bestimmen zu können.“ (ebd.)

 

Eine starke Rolle im Diskurs von maiz spielt die Kritik an Deutsch als hegemoniale Sprache und als Voraussetzung zur Integration. Nun geht es ja nicht darum, Spracherwerb an sich zu kritisieren, nehme ich an, sondern es geht um mehr: um Autonomie, Partizipation, Analyse, Anerkennung und Verbesserung von Lebenssituationen. maiz gibt es nun seit 20 Jahren. Vielleicht dazu ein Statement, bzw. eine Reflexion auf Ihre bisherige Arbeit?

 

RS: Im Zusammenhang mit dem Erlernen der hegemonialen Sprache orientieren wir uns seit Beginn unserer Arbeit am Pädagogen Paulo Freire, der Sprache in ihrem dialektischen Verhältnis zur Realität betrachtet. Das impliziert ein Verständnis von Sprache sowohl als normative Instanz, die konstitutiv für den Erhalt von gegebenen Machtverhältnissen ist, als auch als Handlung und somit als realitätskonstituierend. Neben ihrem Zweck als technisches Kommunikationsmittel und als Medium zur Herstellung und Artikulation gesellschaftlicher Anerkennung heben wir daher die Funktion von Sprache als Mittel zur Mutmaßung einer veränderten Realität hervor. Indem die Lernenden Distanz zur Sprache gewinnen und auf einer Metaebene die Sprache in ihrer konstitutiven Funktion im Verhältnis zur Realität erfassen, können sie mutmaßen, die Realität anders, bzw. aus ihrer Perspektive in der Welt, zu benennen. Somit verändern sich ihre Beziehungen zum Umfeld, Entwürfe zur Transformation der Realität können entstehen und umgesetzt werden. Im Kontext von Sprachbildung in der Migrationsgesellschaft und ausgehend von diesem durch Freire artikulierten Potential der Sprachen als Werkzeug zur Veränderung beschäftigen wir uns in maiz mit der Frage: Ist es möglich, Ansätze für den Zweitspracherwerb zu entwickeln, die ein Sprechen und ein Verhandeln und Reflektieren von Sprache evozieren, die im Sinne Freires verändernd auf die Wirklichkeit, in der sie stattfinden, zurückwirken? Weitere Fragen ergeben sich aus der Beschäftigung mit vermuteten Zielen gesellschaftlicher normativer Zurichtungen: Inwiefern werden normative Zurichtungen im Prozess des Lehrens und Erlernens der Mehrheitssprache Deutsch (re)produziert? Und: Was können wir als Selbstorganisation von Migrantinnen in Anbetracht dieser Vermutung tun?

Die Beschäftigung mit diesen und anderen Fragen führte uns zur Erarbeitung einer Methodologie, die den Erwerb der hegemonialen Sprache als eine kritische und bewusste Aneignung und der ebensolche Gebrauch der dominanten Sprache Deutsch behandelt. Ein wesentlicher Aspekt der Methodologie besteht aus der Betrachtung des Erlernens und des Lehrens von Deutsch als Zweitsprache im Kontext der Migrationsgesellschaft als einen Prozess, der unter dem Zeichen von Machtasymmetrien und Rassismus stattfindet.

Darüber hinaus möchte ich betonen, dass wir auf das Recht auf Selbstbestimmung beharren und Positionen wie folgende aus dem NAP (Nationaler Aktionsplan für Integration, Bundesministerium für Inneres, 2010) kategorisch ablehnen: „Wer dauerhaft in Österreich leben und am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben will, muss bereit sein, die deutsche Sprache zu erlernen.“ (NAP Bericht, S. 12). Denn erstens gestaltet sich die wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe unterschiedlich und es gibt nicht ein bestimmtes Maß an Kenntnissen der dominanten Sprache, die verallgemeinernd als notwendig beschrieben werden könnte. Genau diese normative Setzung wurde durch die Integrationsvereinbarung implementiert, ungeachtet der Kritik seitens Wissenschaftler_innen und Professionellen aus dem Feld Deutsch als Zweitsprache. Zweitens wird dadurch der monolinguale Habitus des österreichischen Staates weiterhin affirmiert und die mehrsprachige Realität Österreichs ignoriert. Drittens vernachlässigt, bzw. verschleiert die Reduzierung der Voraussetzungen für eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe auf den Faktor „Erlernen der dominanten Sprache“ andere Aspekte, die hier vordergründig behandelt werden sollten: rassistische Praxen und Strukturen, die den Bewohner_innen dieses Landes unterschiedliche Zugänge zu Ressourcen bedingen.

 

Sie haben in der zweitägigen Veranstaltung „Feministische Perspektiven“ im Jänner im Posthof am Podium unter anderem davon gesprochen, dass es in Ihrer Arbeit wichtig ist, möglichst wenig Gewalt (im Sinne von Bevormundung) auszuüben. Sie haben von einem Gespräch mit einer Frau erzählt, die wegen ihrer Heirat die Arbeit aufgeben wollte. Auf ihr mehrmaliges Nachfragen nach dem Warum kam die Antwort: „Weißt du, ich habe gearbeitet, seit ich sechs Jahre alt war“. Abgesehen davon, dass das ohnehin eine persönliche Entscheidung ist – ich fand das beeindruckend, weil selbst der eigene Hintergrund immer an ideologische Grenzen stößt. So gesehen fand ich diese Akzeptanz sehr friedlich, im Sinne des Hinterfragens der eigenen Position. Aber es geht um kämpferische Transformation von Verhältnissen?

 

RS: Wenn ich in der Arbeit mit Migrantinnen nicht erkenne, dass ich ausgehend von einer privilegierten gesellschaftlichen Position handle, denke und oft beurteile; wenn ich nicht wahrhabe, dass ich – auch wenn es unbewusst geschieht – letztendlich interessiert bin, die Privilegien meiner Klasse oder Gruppe zu verteidigen; wenn ich nicht in der Lage bin, mich in einen Prozess des Verlernens von Privilegien einzulassen, dann würde ich auch nicht verkünden, ich würde für die Transformation des bestehenden Systems arbeiten und kämpfen.

Am Beispiel der Kursteilnehmerin, die sich entschieden hat, den Job (eine sichere Stelle als Putzfrau) aufzugeben, wird deutlich, dass ich mich mit meiner eigenen Überzeugung als Feministin auseinandersetzen musste. Denn die Selbstverständlichkeit meiner Meinung über die Relevanz der ökonomischen Selbstständigkeit als Grundstein der Emanzipation wurde hier durch ihre Argumentation tief erschüttert. Sie hat dadurch expliziert, dass dieses unter westlichen Feministinnen als allgemein gültig betrachtete Ziel klassenspezifische Aspekte übersehen würde. Sie hat mich dadurch herausgefordert, mich selbst zu widersprechen. Sie hat meine privilegierte Situation bloßgestellt. Und das hat nichts, überhaupt nichts mit „friedlicher Akzeptanz“ zu tun. Im Gegenteil. Sich z.B. zu weigern, muslimische Migrantinnen, die Kopftuch tragen, als unterdrückte Frauen zu betrachten, denen von „uns“, die wir uns als emanzipiert bezeichnen, im Emanzipationsprozess geholfen werden sollte, hat ebenfalls nichts mit „friedlicher Akzeptanz“ zu tun. Viel mehr hat es mit einer kämpferischen Befragung westlicher Überzeugungen.

 

Vielleicht zum Abschluss zu möglichen Perspektiven. Es geht maiz um gesellschaftliche Transformation, die mit Migration einhergeht. Kritik ist die Perspektive? Und sie fordern, wie ich gelesen habe, auch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Was steht dahinter?

 

RS: Ja, ich meine, Kritik ist die Antwort und die Perspektive. Kritik als die Kunst, wie Foucault sie formuliert „nicht dermassen regiert zu werden." Aber ich erhebe hier nicht den Anspruch für maiz zu sprechen, denn auch in maiz gibt es unterschiedliche Positionen. maiz ist keine Sekte. Und „Toda unanimidade é burra“ („Jede Einstimmigkeit ist dumm“), sagte einmal der (sehr umstrittene) brasilianische Autor Nelson Rodrigues. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist hingegen eine von maiz als Organisation formulierte Forderung: Grundeinkommen für alle, aber gleichzeitig: freier Zugang zum formalen Arbeitsmarkt für alle. Denn in der Demokratie gibt es keine Ausnahme.

 

 

Zitierte Literatur

 

Bundesministerium für Inneres (2010): Nationaler Aktionsplan für Integration. Online aufrufbar unter: http://www.bmi.gv.at/cms/cs03documentsbmi/809.pdf

Castro Varela, María do Mar/Nikita Dhawan (2004): Horizonte der Repräsentationspolitik – Taktiken der Intervention. In: Bettina Ross (Hrg.). Migration, Geschlecht und Staatsbürgerschaft. Weiterdenken für antirassistische, feministische Politik/-wissenschaft, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Opladen, S. 203-225.

 

Rubia Salgado ist als Erwachsenenbildnerin, Kulturarbeiterin und Aktivistin in selbstorganisierten Kontexten tätig. Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen im Feld der kritischen Bildungs- und Kulturarbeit in der Migrationsgesellschaft. Sie ist Mitbegründerin und Mitarbeiterin der Selbstorganisation von Migrantinnen maiz in Linz.

 

www.maiz.at

www.feminismus-krawall.at

 

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