Im Gap von Burgenland und Brooklyn

Im Lande ob der Enns ist die Stimmung merkwürdig ambivalent.
gift-Zeitung
01.12.2012 (All day)

Unter anderem ist in der gift, der bundesweiten Zeitung der IGFT, als Bundesländerbericht für 2012 dieser Artikel erschienen (außerdem später in der KUPF-Zeitung): Man muss eingangs feststellen ... es gibt zwar viele Aktivitäten von verschiedensten Protagonist_innen, aber nicht sehr viele freie Gruppen in Linz und OÖ, die ausschließlich von ihrem freien Kunstschaffen leben. So wenige, dass man diese Personen und Gruppen eigentlich schon unter Artenschutz stellen müsste.

 

Andererseits herrscht beinahe so was wie theatrale Goldgräberstimmung im Land. Diese rührt daher, dass mit dem kommenden Jahr das neue Musiktheater eröffnen wird, das nicht nur ein Highlight baulicher und technischer Möglichkeiten darstellt, sondern als hochkulturelles Vorzeigeprojekt zwischen E und U, zwischen Oper und Musical, neue Besucherschichten aus dem In- und Ausland anlocken soll.

 

Das neue Musiktheater und freies Bühnenschaffen miteinander zu diskutieren, macht eigentlich wenig Sinn – zu himmelweit unterschiedlich sind die künstlerischen, organisatorischen und finanziellen Unterschiede. Dennoch bündelt sich der Unmut der freien Szene immer wieder genau daran: Denn, Fakt zwei, neben dem Musiktheater kommt die so genannte Kreditsperre ins Spiel, als Reaktion auf die Krise: Das Theater Spectacel Wilhering, als Beispiel, war heuer erstmals von einer Subventionskürzung durch das Land OÖ von 10 % (im schlimmeren Fall 20 %, das ist noch nicht raus) betroffen. Joachim Rathke vom Theater Spectacel: „Es ist noch verständlich, wenn das alle betrifft. Tut es aber nicht: Das Musiktheater ist davon meines Wissens nicht betroffen. Ich finde es gut, ein neues Haus zu haben. Sehr bedenklich finde ich die Entwicklung, dass dieses ‚Haus’ nicht als Aufführungsort für alle im Land produzierenden Gruppen mitgedacht wird. Wenn es Initiative gäbe, die freien Gruppen an diesem ‚Allgemeingut‘ partizipieren zu lassen, in Form von zur Verfügung stellen von Räumen, technischer Unterstützung, etc. und dass auf diese Weise freie Gruppen Anteil an diesem Förderreichtum hätten, wäre es fair und richtig.“ Schlusssatz: „Die freie Szene wird immer mehr ausgehungert.“

 

Ein Statement, das andere Kunstschaffende auch unterschreiben, wenngleich sie gar nicht im Musiktheater mitgedacht werden wollen, zumindest nicht ohne dementsprechende Koproduktionsbudgets oder weil sie schlichtweg ihre eigenen Projekte und Strukturen besser ausgestattet haben wollen. Das von der IGFT forcierte Thema einer „Neupositionierung des Theaters in Österreich“ analog zur Krise der Stadttheater in Deutschland - sprich: was bedeutet die Entwicklung, eine freie Szene vermehrt wertzuschätzen wegen der Krise, die die großen Betriebe in Frage stellt und hier für eine freie Szene neue Chancen zu sehen? … - scheint eher vorbei an den oberösterreichischen Tatsachen zu gehen; bei einem Ausbau der großen Strukturen ist hier Tenor und Gefühl eher „fallen gelassen zu werden von dort, wo wir noch nicht waren“.

 

Während Projekt- und Jahresförderungen in Wien zweifellos ungleich höher dotiert sind, und es zudem Koproduktionshäuser gibt, die Infrastruktur und Zugang zu einem potentiellen Publikum generell darstellen, ist das in Oberösterreich und Linz gar kein Thema – was erstaunlich ist, wo doch die freie Szene in Linz und OÖ in Relation stark aufgestellt ist. Fakt ist, es gibt Verbesserungen im Tanzbereich. Nur: Dass die freie Szene in Linz generell eher nicht darstellend gemeint ist, ist wohl ein Linzer Spezifikum, das erst langsam durchdringt. Unerfreulich ist, dass es bei der Entscheidung für den Bau des Musiktheaters von Seiten des Landes das Versprechen gab, keine Kürzungen im Bereich der freien Szene zu machen. Dies wird aber nun dennoch praktiziert - und zwar auf unterschiedliche Weise: teilweise mit dem Argument der Kreditsperre, teilweise mit einem Angleichen des Landes an die deutlich niedrigeren Fördersummen der Stadt Linz. Eine kulturpolitische Frage, die sich aus dieser Angleichung ableiten lässt, geht in Richtung Stadt: Bekennt man sich in Linz zu diesem Schwachpunkt oder nicht? In der jetzigen Situation drängt sich der Slogan auf: „Linz ist Burgenland“. Im Burgenland gibt es aber grundsätzlich andere Voraussetzungen – geographischer Natur, keine Ausbildungsstätte für den Theater-/Tanzbereich; die Nähe von Graz und Wien und der Nutzung des kulturellen Angebots in diesen Städten, etc. Linz aber praktiziert seit Jahren den Wandel und die Entwicklung von der Industriestadt zur Kulturstadt. Das mag in vielen Bereichen auch gelungen sein – im Bereich der freien darstellenden Szene handelt es sich aber um eine Kulturstadt mit ausgeprägt „blinden Flecken“ und „schwarzen Löchern“. Seit Jahren gibt es seitens der Künstler_innen und Gruppierungen Bemühungen um Probe- und Aufführungsräume. Tatsache ist, dass es einerseits mit Unterstützung von Stadt Linz und Land OÖ gelungen ist, eine Proberaumstruktur für Tanz zu etablieren, andererseits gibt es trotz des Ankaufs der Tabakfabrik durch die Stadt für die freien Theaterschaffenden keinerlei Probemöglichkeiten oder kontinuierliche Aufführungsmöglichkeiten. Aktuell gibt es seitens der Stadt ein Bewusstsein (zumindest) dafür, es wird der Dialog mit den Künstler_innen gesucht und erneut der Bedarf erhoben. Noch ist alles Ungewiss, die Räume der Tabakfabrik scheinen sich vorerst nicht zu eignen, da größere Investitionen getätigt werden müssten. Durch die Übersiedlung des Landestheaters in das neue Musiktheater werden diverse Räume frei. Noch kann aber niemand darüber Auskunft geben, ob und unter welchen Bedingungen diese zum Teil der freien Szene zugeführt werden könnten. Bleibt zu wünschen, dass es nicht zu einer schnellen und halben Variante kommt. Das Theater im Eisenhand für die freie Szene zu öffnen und diese damit abzuspeisen, wäre eine kurzsichtige und weniger als halbe Lösung.

 

Dass es in Linz und OÖ kulturpolitisch gut wäre, den Begriff der freien darstellenden Szene neu zu hinterfragen, kann auch von anderer Seite argumentiert werden. So ist das Theater Phönix, das seitens der Kulturpolitik als Flaggschiff der freien Szene gehandelt wird, doch eher Mittelbühne, so ist die Companie COV doch eher der Bruckneruniversität zugeordnet, so muss das Theater des Kindes trotz Zugehörigkeit zur freien Szene nicht ohne Haus, ohne angestelltes Personal oder ohne Produktionsbudgets auskommen. Dass sich die Dinge für das Theater des Kindes auch in den letzten Jahren zum Besseren gewendet haben, sprich etwa Bundesförderung und generell positive Entwicklungen im Haus, ist sehr begrüßenswert! Dass eine Verbesserung anderswo noch aussteht, ist Fakt: ein Fakt mit dringend notwendiger Tendenz zu Verbesserung, was die Förderung von Kunst, aber auch die Förderungen der Kunstschaffenden anbelangt, die gezwungen werden, unter prekären Bedingungen zu produzieren oder zu leben – auf verschiedensten Niveaus der Förderung. Auch wenn es einigen wenigen Gruppen gelungen ist, Bundesförderungen für ihre Produktionen zu bekommen, ist die Situation schwierig geblieben; eine Annäherung etwa an die Richtgagenbroschüre der IGFT liegt in weiter Ferne beziehungsweise werden Projekte bei Reduzierung der Mittel auf Minimalumsetzung getrimmt.

 

Linz ist Burgenland - so das eine gefühlte Fakt. Damit es aber nicht zu trübsinnig bleibt: In der Stadt gibt es auch noch eine andere Stimmung, dass hier nämlich eine Community nicht zwangsweise eine darstellende Community bedeutet, sondern darüber hinaus gehen kann. In diese Richtung arbeiten in den letzten Jahren auch einige Akteur_innen, in einer Überschneidung von Sparten, in Kooperationen über den darstellenden Bereich hinaus, und in einem generellen Feeling von Öffnung. So gesehen hat man ein wenig auch das Gefühl von einem kreativen Prozess, den eine zugezogene Künstlerin mit „Linz ist Brooklyn!“ beschrieben hat. Bleibt zu hoffen, dass dies von allen Seiten auch erkannt und dementsprechend unterstützt wird, damit das für die freien Kunstschaffenden kein kreatives und reales Überlebensgewurschtel bleibt. Übrig bleibt insgesamt der Bedarf an Verbesserung, an einer Diskussion über freie Szene, freien Tanz, freies Theater im Land – zu vieles wird kulturpolitisch zurzeit in einen Topf geworfen.

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Tanja Brandmayr, Claudia Seigmann