Aus der ongoing-Serie "Lost and Found": Fotos von verlorenen Zetteln und anderen kleinen Dingen ...
Im Garten...
Zu keiner Zeit betreten, November 2012. Beschreibt die Sprache Wirklichkeiten? Oder erschaffen sie diese selbst? Tancred Hadwiger hat in Form von szenischen Lesungen, Puppentheater oder Hörspiel immer wieder mit Tanja Brandmayr zusammengearbeitet, die hier Koautorin in der Endbearbeitung der Textfassung von "Zu keiner Zeit betreten" war. Der Komponist Raimund Vogtenhuber hat die kryptischen, lyrischen wie surrealen Texte von Hadwiger in eine Klangsprache überführt. Er hat dieses Musiktheaterstück konzeptioniert und komponiert, das in einer Besetzung von etwa 15 Schauspielerinnen und MusikerInnen an zwei Tagen in Zürich aufgeführt wurde.
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Über Tancred Hadwigers Dramolett-Trilogie
Zu keiner Zeit betreten / Kröte Krösus / Kitchen Cheat
Vorwort
„Spur Schwefelgeruch / Sumpf der öffentlichen Gesundheitspflege / Rot verbrecherischer Lippen / Zweitakt-Marsch Lake / Laune der Affen / Turmuhr Farbe des Tages“- so lautet ein mit „Die Gefühle sind umsonst“ betitelter Text aus den Breton-Soupaultschen Magnetischen Feldern (in der Übersetzung von Eugen Helmlé), für deren Verfertigung die beiden Surrealisten sich bekanntlich des Verfahrens des ‚automatischen Schreibens’ bedienten. „Ich hatte den Eindruck, dass das Denken nicht unbedingt die Zunge oder gar die Feder am Fortkommen hindert“, schreibt Breton zu jenen Feldern. Auch für Tancred Hadwiger ist das ‚automatische Schreiben’ Quelle der dichterischen Arbeit. Und nicht nur Assonanz, Reim, Rhythmus – also die Zunge – treiben die ´Kaskaden` der aus dem Un- und Unterbewussten herausgefischten Wörter voran, sondern auch die Feder, als er seine Texte anfangs auf kleine Zettel (Kassablocks etc.) notiert. Auch der expressionistische Dichter Franz Richard Behrens, zu dem Gerhard Rühm schreibt, dass für diesen der Expressionismus einen grundsätzlichen Befreiungsakt der Dichtung von Gebrauchssprache bezeichnet, hat Karten mit entsprechend kurzzeiligen Versen versehen, die er als „gedankenblitze und plötzliche lyrische einfälle“ benennt. Und hier ist eine weitere Quelle zu orten, nämlich die Wortdichtung des Abstrakten Expressionismus insbesondere in der Ausprägung eben durch Behrens, der Wörter im Gegensatz zu anderen Autoren seiner Ausrichtung bereits als ‚Versatzstücke’ zu behandeln wusste. Wenn Behrens sich von einem einzigen Wort – seinem „schönen“ Klang, seinem exotischen oder skurillen Reiz – zu einem ganzen Gedicht anregen hat lassen, wie Rühm formuliert, so gilt für Hadwiger, dass er etwa beim Hören einer Song-Zeile spontan dann ein Wort aus dieser auf seine Weise weiterdichtet […]. Dieses Weiter-Schreiben weiß nicht, wohin der Verlauf es führen wird. Abrupt folgt ein Vers bzw. Wort dem anderen. Und um nichts weniger unmittelbar wechselt der Autor dabei zwischen den verschiedenen Sprach-Ebenen und Verfahrensweisen: mal ein Vokal, Klang oder Reim (und mal hint, mal vorn), mal ein Bild oder Begriff (und oft in Kontra-Stellung), mal ein Gedanke, der den Sprung motiviert. Gerade dieser Wechsel im Weiterreich-Spiel weiß in seinem Verlauf nicht nur den Dichter, sondern auch uns Leser zu überraschen, die ein Gedicht im Lesen ja erst vollziehen und fertigstellen. Hadwiger selbst spricht vom „Streuen und Streunen“ der Wörter, wir befinden uns also in einem Umzug, der Dichter wie Leser bestens auch auslachen darf.
Jeweils ein „sukzessives Dickicht“ könnte man vergleichend sagen, sodass dies dann ähnlich schräg zusammenpasst wie Wind und Kleber im Titel der Sammlung. [...]
Die in den Texten angelegten konstruktivistischen Tendenzen werden durch die spontane Mitschriftlichkeit der Notizen aber stets auch unterlaufen. Dennoch gelingt Hadwiger in vielen seiner Gedichte eine strikte formale Umsetzung des Gesagten, [...] Expression und Nonsens kippen in diesen Notaten ineinander, bis dorthin, wo Expression sich zum Nonsens verkehrt, und umgekehrt. Dominik Steiger schreibt zu seinen gleich Hadwigers Texten allenfalls geringfügig nachbearbeiteten Sinngummis, dass auf 10 Versuche 1 bis 2 Treffer kommen. [...]
Zitiert aus: „Wind stinkt nach Superkleber“ von Tancred Hadwiger, Bibliothek der Provinz. GEFÜHLE SIND UMSONST. Vorwort von Christian Steinbacher
Theater für Verwachsene – zur Trilogie: Dramolette und Sprachfiktion
Teil 1: Das fiktive Dramolett „Zu keiner Zeit betreten“ spielt in einer möglichen Zukunft. Fünf Charaktere, jeder mit signifikanten Eigenschaften, schlechten Angewohnheiten -ja Marotten- ausgestattet und gekennzeichnet, begeben sich in den einzelnen Szenen an unwirtliche Orte. Alle basteln am Untergang und stellen die Frage: Über kurz oder lang wird der Wahn gesellschaftsfähig?
Handlung als auch Text stehen für die Doppeldeutigkeit und Doppelbödigkeit der Worte und für Missverständnisse, die nie ausgeschlossen werden können. Etwa wohnt dem Titel „Zu keiner Zeit betreten“ ein Endzeitszenario inne, wo der „worst case“ keine Zukunftsmusik mehr sein kann. Mit der zweiten Möglichkeit, das „betreten“ im Sinne von „bedrückt sein“ zu verstehen, entsteht die entgegengesetzte Aussage, zu keiner Zeit bedrückt zu sein.
Die im Stil der écriture automatique gearbeitete Lyrik bewirkt wohl in der bereits oben durch Christian Steinbacher zitierten Weise gleichermaßen Steuerung wie Fehlleitung, Irritation als auch Amüsement. Gedankensprünge bis hin zum Nonsens stehen auf der szenischen Speisekarte. Sinn und Vernunft scheinen in einer sich immer mehr als schizophren gebärdenden Welt an sich zweifelhaft, generieren in den Stücken eine düster erscheinende Welt aus Katastrophenszenarien und darin sehr „fragmentiert“ lebenden und monologisierenden Personenskizzen. Zum anderen erweist sich das Niederreißen von (sprachlichen) Begrenzungen als permanente Möglichkeit von ohnehin notwendiger Progression.
Diese Möglichkeit des Weitertreibens von Sprache erinnert an den "Futurologischen Kongreß", ein Buch von Stanislav Lem. Darin versucht Professor Trottelreiner, Futurologe, mit Hilfe der Sprachwissenschaft Prognostik zu betreiben, die er "sprachseitige Zukunftsvorraussage" nennt. Er bildet nach den Gesetzen der Grammatik neue Worte und versucht danach, eine mögliche Bedeutung in der Zukunft abzustecken. Dass es zu diesen Begriffen keine, ober bestenfalls nur fiktive Entsprechung geben kann, scheint nachrangig. Trottelreiner spricht über seine Theorie:
- `...Bitte ein anderes Wort.` - `Bein.` - `Gut. was geht mit dem Bein? Beinler. Beinmal, allenfalls Beinmalbeins. Beinigel. Beinzelgänger. Beinzeln und sich beinigen. Beingängig. Verbeinert. Bein dich! Beinste? Beinerlei! Beingeist. Bitte sehr, da haben wir etwas Aussichtsreiches. Beingeist. Beingeisterei.` - `Was heißt denn das alles? Diese Wörter haben doch gar keinen Sinn?` - `Noch nicht. Aber sie werden einen haben. Das heißt, sie können unter Umständen Sinn gewinnen, sofern sich Beingeisterei und Beintum durchsetzen. Das Wort ´Roboter´ hat im 15. Jahrhundert nichts bedeutet, aber wenn die Leute damals die linguistisch orientierte Futurologie gekannt hätten, dann hätten sie beim Robotern die Automaten vorhersagen können!`" (Kongreß, S. 104).“
Obgleich Lems Werk in beinahe jeder Beziehung völlig unterschiedlich zu den vorliegenden Dramoletten sein mag (vielleicht aber nicht im dystopischen Szenario), lässt sich dieses Vorhaben erkennen, speziell in der Verarbeitung von lyrischen Texten innerhalb einer Dramenform einen Versuch von radikaler Verweigerung der Referentialität von Sprache im Sinne eines Sprach“gebrauchs“ zu wagen - und vielmehr den Autor selbst als Medium zu sehen, das den Sprachmüll, das Sprachchaos und die Verwertungsabsichten der unterschiedlichsten Referentialitäten in Stücken zu bündeln. Die beschriebene Methode erfährt so in „Zu keiner Zeit betreten“ eine Erweiterung: Der Versuch ist dahingehend angelegt, über eine Verbindung von Drama und Lyrik „in die Zukunft zu schreiben“, die sich selbst und mit ungewissem Ausgang erst automatisch schreiben wird. Es gilt, der Kunst der Sprachschöpfung freien Lauf zu lassen und damit einen gewagten Bezug zur Science Fiction herzustellen – als poetisch freien Fluss in eine Möglichkeit von Entwicklung.
Teil 2: Diese Verbindung von Drama und Lyrik, die Absicht, „in die Zukunft zu schreiben“, ist in Teil zwei der Trilogie, in „Kröte Krösus“, einer anderen Inspiration unterworfen: Dem klassischen dramatischen Inhalt von Schicksal und Orakelspruch. Krösus erfährt beim Orakel von Delphi von der Hohepriesterin, dass „ein großes Reich verloren geht“, zieht in die Schlacht und verliert gegen die Perser. Gedanke dabei: Einerseits einen klassischen Stoff von „Prognostik“ weiterzuführen, als Textzusammenfassung, die der Autor lediglich in englischer Sprache gelesen hat, andererseits dieses „Gefühl“ des Scheiterns an der eigenen Schicksalhaftigkeit mit „automatischem Schreiben“ aus dem Hier und Jetzt zu konfrontieren. Entstanden sind, aus jetzigen Sicht, vermehrt „wirkliche“ Dialoge und eine erstaunliche Fortsetzung der Thematik des Untergangs: Inhalt und Methode basteln zum einen an einer eigenen Version des Dephischen Orakels und seiner ProtagonistInnen. Und zum anderen: Schicksal bastelt, zumindest in Hadwigers Fall, Sinn nach automatischem Schreiben und intakten grammatikalischen Regeln und scheitert doch an der Syntax, eine für diese Arbeit wesentliche und erstaunliche Entwicklung.
Teil 3: Der dritte Teil „Kitchen Cheat“ ist in der Jetztzeit angesiedelt. Zukunft und Vergangenheit geben sich in einem Wiener Gemeindebau die Hand. Ein Autor und ein Homosexueller, die in einer WG zusammenwohnen, reden, wenn man so will, im Normalsprech miteinander. In einer Aufteilung, die den Autor als reimenden „Schöngeist“ in gewisser Weise zu einem Vertreter der Vergangenheit macht, sowie um einen Schwulen, der als „Abschlepper“ und „Checker“ den Gegenpol des Autors bildet, und einen Vertreter der heutigen Zeit darstellt, geht es vor allem ums Alltägliche. Es geht um Gemeindebau, zwischenmenschliche Beziehungen, um Computer, es wird übers Kochen und Abwaschen geredet, es geht um allseits vorhandene Klischees und deren Durchbrechung – um Durchbrechungen nicht zuletzt mit Mitteln der Sprache. Denn in „Kitchen Cheat“ ist der Dialog mit voller Wucht in den Vordergrund getreten: Die Protagonisten reagieren direkt aufeinander, um nicht zu sagen, in einem Automatismus, der Dialog läuft sozusagen wie geschmiert. Das dialogische Schreiben ist derart hervorgetreten, dass Sinn -wie in den Teilen davor- nicht mehr an Syntax scheitert, sondern allenfalls an der Größe der veräußerten Gedanken. Man könnte sagen, dass es inhaltlich um das so genannte Eingemachte geht, weil nicht Bedeutung, sondern die Banalität der Bedürfnisse ausgestellt wird. Und was die Sprache anbetrifft: Ungreifbare Buntheit greift Platz, bemächtigt sich so eines vielleicht spürbaren Sinnvakuums und erzeugt eigenen Sinn. Die Gedankenfolge bleibt sprunghaft und assoziativ, bemüht Alltagskulturen und Spezialfelder. Das in Deutsch geschriebene Stück wurde außerdem mit kleinen Einsprengseln der isländischen, lateinischen, italienischen, englischen, französischen und spanischen Sprache versehen und sozusagen, vielleicht, als „esperanto automatique“ gearbeitet.
Alles in allem, trotz der per se unabgeschlossen bleibenden Stücke mitsamt ihrer immer möglich bleibenden Entwicklung, findet der dritte Teil der Trilogie insofern ein glückliches Ende, als dass die Protagonisten des Stückes aus ihrer Isolation herausgetreten sind. Und dieses Heraustreten aus einer sehr einzelhaften Existenz nur mit Sprache und, vor allem: ihrer Entfremdung bewerkstelligt werden konnte. Die Trilogie und vor allem der vorläufige Abschluss „Kitchen Cheat“ stellt außerdem eine Untersuchung der eigenen Mittel und Methoden dar – das automatische Schreiben wurde zuerst einem Zukunftsaspekt der Science Fiction unterworfen, danach einem Vergangenheitsaspekt der griechischen Mythologie und, als vorläufiges Ergebnis, entstanden assoziativen Ketten einer umgangssprachlich heutigen Dialogform, die innerhalb dieser Arbeitsweise eine sehr wesentliche Neuerung darstellt.
Tanja Brandmayr, Begleittext zu diversen Lesungen