Eine Balance zwischen künstlerischem Handeln und sozialem Agieren

KupfZeitung-Interview
KUPF Zeitung
04.09.2013 (All day)

Es gibt einige Artikel in der KupfZeitung, einer davon ist dieser - erschienen in der September-Ausgabe 2013:

Festival der Regionen-Intendant Gottfried Hattinger im Interview: Es geht um die Arbeitspraxis in den Regionen, die kommunikative Kompetenz von Kultur; und die Kunst zu provozieren – ohne gleich mit dem Arsch ins Gesicht zu springen.

 

TB: Der Schwerpunkt des Festivals der Regionen liegt programmatisch und namensgebend bei Kunst und Kultur in den Regionen. Dennoch ist es mehr als kulturelle Nahversorgung. Ich darf es mal so sagen: Man schaut, was die Region hergibt; man fügt der Region was bei; man bearbeitet. Ist das so? Und, vielleicht können Sie einen kurzen Abriss skizzieren: Wie geht man in der Regel in die jeweilige Region rein, und was bleibt … für Region, Kunst, KünstlerInnen, fürs Festival?

GH: Ja, so ähnlich ist das, prinzipiell. Am Beginn stehen Expeditionen im eigenen Land, um Regionen, Orte, Plätze zu erforschen, bis sich interessante Assoziationen ergeben, bis es „klickt“ sozusagen. Im ersten Schritt geht es also gar nicht um das Projekt „Kunst“, sondern um die Identität der ausgewählten Region, um Geschichten, gesellschaftliche Verhältnisse, kulturelle und künstlerische Aktivitäten. Auf der Basis dieser Recherchen ergibt sich eine Themenstruktur, wonach eine internationale Ausschreibung formuliert wird. Ein Festival der Regionen kann nur funktionieren, wenn alle Projekte mit dem Thema und mit örtlichen Gegebenheiten und Angelegenheiten operieren.Was bleibt? Im besten Fall haben wir Aufgeschlossenheit, Akzeptanz für gegenwärtige Kunst erreicht; und teils heftige Diskussionen darüber. Zuletzt hat es geheißen, dass wir frischen Wind in die Region gebracht haben und dass sich die Kulturschaffenden in der Region überlegen, diesen Rückenwind für künftige Aktivitäten zu nützen. Deutliche Spuren hinterlassen – das ist wichtig für uns.

 

Wenn man Kunst und Kultur in Regionen, (d.h. in nicht vordefinierten Kunst- und Kulturorten) thematisiert, geht es auch darum, Zugänge zu schaffen. Verfolgt das Festival einen niederschwelligen Ansatz, bzw. wie mixt es sich zusammen? Was ist wichtig? Ich denke auch an die verschiedenen Ästhetiken, die angeboten werden.

Niederschwellig in der Qualität auf gar keinen Fall! Wir wollen kein locker konsumierbares Spektakel; da kennen wir keine Konzessionen und keine Gnade. Deshalb wird große Aufmerksamkeit auf die Vermittlung von Inhalten und Hintergründen gelegt. Mit klaren Aussagen und Ausschluss von Expertenjargons. Wir sprechen ja nicht nur ein Fachpublikum an, sondern wollen möglichst breite Schichten gewinnen, sich auf „Kultur“ einzulassen. Im Sinne der Zugänglichkeit wollen wir allerdings keine Schwellen. Auch die unterschiedlichen Ästhetiken sind wichtig. Das Festival schließt kein künstlerisches Genre aus: Theater, Performance, Musik, Bildende Kunst, Architektur, etc. – alle haben innerhalb des thematischen Kontextes ihren Raum.

 

Mir geht es um einen Aspekt von Zumutbarkeit durch kritische Kunst. Ich denke zum Beispiel an das Projekt von Margit Greinöcker, die Erntehelfer begleitet hat. Das Projekt zeigt auch in diesem Mikrokosmos Eferding, wie grotesk globalisiert der ganz normale Arbeitsalltag dieser Menschen ist … oder, von einer anderen Ecke: Peter Arlts Thematisierung von John Tylos bitterem Individualistenkampf gegen die Behörden, weil er zB. keinen Kanalanschluss haben möchte. Beide Projekte bilden etwas ab, zweifelsohne einen kritischen Umstand. Andererseits in einer Ästhetisierung, die man „nehmen“ kann. Vielleicht generell in einem Gesamtfeeling des Festivals, aber gerne auch darüber hinaus: Wie sehr fügt sich Kunst und Kultur ein, wie provokativ darf/kann sie heute sein? Was kann es? In welcher Weise sind solche Fragen relevant, bzw. gibt es da Reibungsflächen, etc?

Gegenfrage: Wie sieht eine Ästhetisierung aus, die man nicht „nehmen“ kann? Wir behaupten mal, dass sich alle Festivalprojekte in irgendeiner Form kritisch mit gesellschaftlichen oder urbanen Belangen auseinandergesetzt haben. Auch wenn sie vielleicht nicht vordergründig mit dem Arsch ins Gesicht springen. Wir haben schon mitbekommen, wie die Projekte in der Region – in den Cafés am Stadtplatz und in den Stammtischen, und auch in privaten Kreisen – diskutiert wurden. Wirkung ist auf jeden Fall erzielt worden. Ich glaube auch nicht, dass wir uns „einfügen“ oder anbiedern. Im Gegenteil. In Eferding ist das Festival durchaus als Ausnahmezustand empfunden worden, dem schwerlich zu entkommen war; auch als Provokation im positiven und negativen Sinn. Provozieren heißt ja auch anregen, herausfordern. Billige Polemiken hat es seitens der Künstlerinnen und Künstler nicht gegeben; das stimmt schon. Ist aber verzichtbar. Die Formulierung der Werke ist immer der Künstlerschaft vorbehalten. Da üben wir keinen Einfluss und keinen Druck aus. Als Festival verfolgen wir in der Programmierung und in der Dramaturgie das schon öfters verkündete Credo, eine Balance zu finden zwischen künstlerischem Handeln und sozialem Agieren. Reibungsflächen gibt es immer, das ist auch gut so, das hält den Diskurs am Leben.

 

Die Qualität und die Besonderheit liegt auch darin, dass sich das Festival mit seiner Arbeit und Anwesenheit quasi als temporärer kritischer Gastgeber zur Verfügung stellt – mit allen Aspekten des kommunikativen Miteinanders?

Klar! Wir gehören nicht zu den trockenen monologischen Zeigeanstalten. Um unsere Anliegen zu vermitteln, müssen wir dialogfähig sein. Und um Dialoge in Gang zu setzen, bedarf es Offenheit, spezieller Ambiente und regionaler Kommunikatoren. Deshalb ist ein kommunikativer Ort wie das Festivalzentrum (das seinerseits bestenfalls ein Kunstprojekt darstellt) mit gemeinsamen Essen, Bar und Bühne so wichtig. Einerseits genießen wir selber die Gastfreundschaft einer Region, andererseits üben wir sie gegenüber der Künstlerschaft und den Bewohnerinnen und Bewohnern aus. Es gehört zur Dramaturgie, das Festival auch als Fest zu gestalten, in dem zwangloses Gespräch ermöglicht wird und gefeiert werden darf. Also Atmosphärisches und Auratisches sind Komponenten, die nicht unterschätzt sein sollen. Dazu gehört auch, dass die Künstlerinnen und Künstler während des Festivals anwesend und verfügbar sind.

 

Zentral ist die Einbindung von KünstlerInnen, Kulturschaffenden, Kulturinitiativen aus der Region. Natürlich ist die Qualität der Einreichungen das Hauptkriterium der Auswahl. Welche Kriterien der Auswahl gibt es noch? Es war in Eferding zum Beispiel auch die Kunstuni mit einem Projekt vertreten, Initiativen wie dorf.tv, die ihrerseits konzeptuelle Möglichkeiten zur weiteren Befüllung mit Content geboten haben, oder AktivistInnen oder Kulturschaffende, die biografische Verbindungen zur Region haben. Was ist Ihnen diesbezüglich wichtig, wie sind hier die Erfahrungen?

Die Frage trifft einen sensiblen Nerv in unserer Arbeit. Prinzipiell veranstalten wir keine Œuvre-Ausstellungen, weder von lokalen noch von anderen KünstlerInnen. Das wird uns manchmal vorgeworfen, dass wir keine Malereien oder Skulpturen oder Keramiken von der Künstlerschaft aus der jeweiligen Region zeigen. Manche fühlen sich dadurch ausgeschlossen. Wir gehen davon aus, dass diese Arbeiten sowieso bekannt sind. Wenn wir aber einen überzeugenden Vorschlag erhalten, der auf unsere Themenvorgabe eingeht, ist die regionale Verhaftetheit ein Bonus, sicherlich. In der letzten Auswahlphase laden wir einen internationalen Beirat ein, um die eingesandten Projekte noch einmal durch einen objektiven Blick von außen zu überprüfen und zu diskutieren.

Leichter tun wir uns mit den Bereichen Musik, Performance oder Theater. Hier verfolgen wir die Strategie, möglichst viele „gute Kräfte“, wie wir sie immer nennen, in künstlerische Prozesse und Projekte einzubeziehen. Damit haben wir wunderbare Erfahrungen gemacht, nebst einigen kleinen Enttäuschungen. Immerhin waren zuletzt 31 von 37 Projekten Auftragswerke, die das Festival vergeben hat. Wir sind also eine der ganz wenigen Institutionen im Kulturbetrieb, die Kunstproduktionen zu guten Bedingungen fördert und ermöglicht. Einerseits birgt dies natürlich Risiken, andererseits ist genau das die Gewähr dafür, dass ein Festivalprogramm entsteht, das sich tatsächlich mit jenen Themen beschäftigt, die für die jeweilige Region relevant sind.

 

Sie haben nun als Team zwei Festivals geleitet, vor zwei Jahren „Umsteigen“ rund um Attnang-Puchheim, heuer „Umgraben“ in Eferding. Sicher hat sich durch die Innensicht einiges in der Wahrnehmung des Festivals verändert? Wo sind die Konstanten – und wo haben Sie Veränderungen vorgenommen, bzw. haben sich Veränderungen ergeben?

Das Wetter war in Eferding besser! Die Grundphilosophie hat sich nicht gravierend verändert. Das Programm in Eferding war im Gegensatz zu Attnang-Puchheim wesentlich „performativer“, es hatte Bewegung und eine gute Mischung aus Aktion und Ausstellungsangebot. Und auch durch das fabelhafte Festivalzentrum mit den Feierabenden hatten wir eine unübersehbare Präsenz in der Stadt. Generell durften wir die tolle Erfahrung machen, dass dieses Festival mit der Beteiligung vieler Menschen aus der Region ein unglaubliches Leben entwickelt hat. Sowas kann man schwerlich planen, das kann auch nicht als Rezept dienen. Letztlich ist jede Region ein neues Abenteuer mit anderen Gesetzmäßigkeiten und Entwicklungen. Das ist aber das Spannende am Festival der Regionen.

 

Die Frage am Ende: Ich persönlich warte eigentlich schon lange auf ein Festival der Regionen in Traun, Stichwort Suburbia. Oder diese Einkaufstempel-Thematik am südlichen Stadtrand: Der Beinahe-Leerstand Uno-City und der florierende Kommerztempel Plus-City. Würde eine Bespielung aus Ihrer Sicht da was hergeben?

Naja, Traun wäre nicht schlecht, die Leute von der Spinnerei könnten sicherlich Unterstützung gebrauchen. Ansonsten eine urbane zersiedelte Wüste mit hohem Konfliktpotenzial durch den hohen Migrationsanteil. Liegt aber möglicherweise zu nahe bei Linz. Plus oder Uno könnten interessant sein, aber da wird der Begriff der Region schon zu eng. Wir haben das Festival sowieso schon räumlich und zeitlich komprimiert, was den Vorteil der besseren Sichtbarkeit und Nachvollziehbarkeit hat. Aber noch enger wollen wir die Grenzen nicht ziehen.

 

Interview von Tanja Brandmayr.