Aus der ongoing-Serie "Lost and Found": Fotos von verlorenen Zetteln und anderen kleinen Dingen ...
Im Garten...
Das Magazin Treib.Gut hat Tanja Brandmayr eingeladen, gedanklich um den Posthof herumzutreiben, beziehungsweise eine Sicht auf alte und neue Zeitkultur im Hafen zu entwickeln.
Eine frühe Erinnerung, aus den Anfangszeiten des Posthofes, ich denke, aus den späten 80er Jahren: Auf der Bühne sitzt jemand an der Nähmaschine und näht eine endlose Naht in eine unendlich lang scheinende Stoffbahn, Mengen von weißem Stoff unter der Nähmaschine durchschiebend, während daneben performt wird, in meiner Erinnerung minimal, in einem reduzierten Bühnensetting, neben dem Stoff kaum etwas außer der Akteurin auf der Bühne, in einfachem Licht ein kleiner werdender Stoffhaufen, aus dem sich aber trotzdem immer neue Bahnen zu entfalten schienen. Ich erinnere endloses Nähen also, das in seiner Monotonie alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Am Ende wurden ein paar gekonnte Pirouetten gedreht, Sprünge gemacht – fertig.
Hin und wieder komme ich auf dieses Bild. Es hat sich eingeprägt. Es steht in meinem Kopf fix da – als Beispiel des Tanzes in den 80er Jahren, für eine spezielle persönliche Wahrnehmung davon im Posthof in Linz. Wahrscheinlich gerade wegen des fragmentarischen Charakters der Erinnerung hat es in meinem Kopf eine eigene zeitlose Geschichte entwickelt. Obwohl, wie sich vermuten lässt, wahrscheinlich Zeit genau das Thema war, um das es ging: Zeit in ihrem linearen Vergehen, das Leben als nicht mehr ganz so linear handhabbarer Stoff, sondern als verwobene Textur, mit der sich etwas abspielt, und daneben die andere, subjektive Qualität der Bewegung, die befragt wird um sich in Konsequenz zu manifestieren – oder auch nicht zu manifestieren. Ohne damals, selbst kaum erwachsen, das Rückkopplungsspiel von Gezeigtem und Erwartungshaltungen wirklich reflektiert zu haben, hat mir auch „die Frechheit“ gefallen, das bewegungshungrige Publikum quasi so lange ohne Bewegung verkommen zu lassen, um in kurzen Sequenzen der schönen Bewegung zu demonstrieren, dass man‘s sozusagen eh kann, nur: man wollte halt nicht durchgehend. Ich war deshalb immer versucht, diesen Ansatz als experimentell zu verstehen, muss nach einer Recherche im Posthof-Archiv aber feststellen, dass meine Erinnerung höchstwahrscheinlich der Laokoon Dance Group zuzuordnen ist, die ihre Quellen nicht so sehr in der Verweigerungshaltung der Kunstkonventionen, sondern im deutschen Tanztheater angegeben hat. Also in einem Zugang, der Bewegung nach ihrem „Beweggrund“ befragt, und nicht im Sinne der schönen Oberfläche versteht. Deshalb auch das durchgestrichene „Dance“. Das Ganze ist also eventuell nur halbexperimentell zu verstehen gewesen, aber geblieben ist für mich der Eindruck einer konsequenten künstlerischen Haltung … und eine für Kunstproduktion jeder Art wesentliche Frage nach dem warum, also dem Beweggrund. Bei der Recherche finde ich im selben Jahr übrigens eine Künstlerin namens Kathy Rose, die eine Show aus Filmschnipseln und Liveperformance geboten hat, im besten Sinn der Vermischung von Elementen aus Rhythmus, Zeichnung, Projektion, eine Version von Comic und natürlich Bewegung. Lange vor einer breit ausgerufenen performativen Wende erinnere ich mich jedenfalls an etwas, das damals neben der aufgeheizten Stimmung des damals recht populären Afrotanzes oder des Flamencos erfrischend anders war. Bereits zu Beginn war das für das international formulierte Verständnis dieser nunmehr jährlich stattfindenden Tanztage bezeichnend, und hat sich in seinem Ansatz erstaunlich frisch in meiner Erinnerung gehalten.
Seit den 80er Jahren und den sich damals explosiv formulierenden neuen Ansätzen ist natürlich viel Zeit die Donau hinunter geflossen, es hat in mittlerweile 30 Jahren vieles gegeben, es hat sich vieles verändert, international, lokal, in Wellen oder in Versuchen, allgemein und im Posthof selbst. Es hat sich, wie man gerne und schnell sagen könnte, vieles professionalisiert: Im Posthof bedeutete das auch einen neuen Anbau samt Bühnentechnik, die beinahe alle Stücke spielt und internationale Spitzengruppen, die in Folge eingeladen werden konnten. Obwohl ich den Professionalisierungsbegriff im Hinblick auf die Herstellung von künstlerischen Oberflächen später noch einmal kommentieren möchte, kann in Rückschau jedenfalls festgehalten werden, dass der zeitgenössische Tanz in den 80er und 90er Jahren vor allem durch den Posthof in Linz Einzug gehalten hat. Es finden sich große Namen und große Produktionen der internationalen Szene, und es würde wohl den Rahmen sprengen, hier ins Detail zu gehen. Nur so viel: Gegenwärtig hält der Posthof bei einer Linie, die sich, grosso modo, zwischen Könnerschaft, Intensität und sehr oft auch ironischer Brechung ansiedeln lässt – Willi Steiner lädt beherzt und ausschnitthaft die international etablierten Namen und Tendenzen der zeitgenössischen Tanzkunst nach Linz ein: Wer in den Hafen zu einer Veranstaltung fährt, bekommt dort immer noch Zeitkultur präsentiert. So zum Beispiel im Herbst die Niederländerin Sabine Molenaar und ihre Alptraumwelten des Überirdischen, oder Toxic Dreams, dessen Performerin Stephanie Cumming sich der Frage der „sozialen Choreographie“ stellt.
Eine andere Sache ist der Posthof als Ort der zeitgenössischen Produktion. Wenngleich es über die Jahre einige Versuche gegeben hat (der größte war wohl der Versuch der Etablierung einer eigenen Posthof-Company in den 90ern), und nach Möglichkeit auch hinsichtlich anderer Ressourcen die lokale Produktion unterstützt wurde und wird, war und ist der Posthof kaum ein Ort der Produktion oder des Diskurses, sondern immer weitgehend Veranstaltungsort gewesen. Dementsprechend ist die Initiative hinsichtlich einer zeitgenössischen lokalen Produktion, die sozusagen nicht als fertiges Produkt eingekauft wird, zumeist auch auf ein Auftreten-Können ausgerichtet. Mit all der Unterstützung, die das Haus aufgrund seiner regulären Tätigkeit als Veranstaltungshaus für eine relativ kleine Szene zu bieten imstande ist. In den letzten Jahren hat das heimische Produzieren dementsprechend (auch) seinen Platz im Tanztage Labor gefunden. Und auch hier würde es den Rahmen sprengen, ins Detail zu gehen, aber: Alles in allem wäre es, meiner Einschätzung nach, zukunftsweisend, Fragen nach der Art und Weise von Produktion zu stellen – und auf den an sich sehr guten Begriff „Labor“ weiter aufzubauen: Was kann es bedeuten, ein tatsächlich Laborhaftes vermehrt erweitert zu denken? Nicht nur hinsichtlich einer oft bemühten „Vielfalt“ des Zeigens, sondern einer Präzisierung eines Settings. Das würde ich als Produzierende für die Zukunft interessant finden – gegen einen um sich greifenden und nur scheinbaren Professionalisierungsbegriff, der Kunst wie eine abhakbare To-Do-List der kreativen Oberflächenkonstruktion erscheinen lässt. Letzteres ist aber nicht unbedingt sparten- oder Posthofspezifisch zu sehen, sondern als Frage nach Produktion und Oberfläche generell eine DER Fragen vielerorts – wenn man so will, auch eine der breit gestellten Fragen nach einem „Beweggrund“.
Das Schöne an einem Treib.Gut-Text ist es, dass man sich mit seinem beladenen Boot voller Gedankenvorhaben aufmachen kann, um zu sehen, wo einen die Strömungen damit hintreiben. Mit den eingangs erwähnten Anfangszeiten des Posthofes bin ich in diesem Sinn nun auch in einer Vergangenheit gelandet, die ich in einem Moment des allergrößten Staunens als Zeit wiedererkenne, die fast noch ohne Anwender-Kommunikationstechnologie funktionierte. Obwohl noch nicht sehr lange her, komme ich mir selbst beim Schreiben dieses Satzanfangs wie eine Zeitzeugin des bereits endgültig Vergangenen vor. Ich frage mich: Wie war Produzieren und Veranstalten eigentlich zu bewerkstelligen, ohne Handy und Mail, ohne Computer und sämtlichen Ruckzuck-Bearbeitungen. Wie ist selbst ein einfacher Veranstaltungsbesuch ohne umfassende Vorinfo im Netz möglich gewesen? Es verwundert mich zutiefst, eigentlich schon in einer quasi untergegangenen Welt unterwegs gewesen zu sein, die sich ökonomisch umfassend neu zu organisieren begann, während man sich damals in aller Unschuld ungemein progressiv fühlte: Es amüsiert mich, an die Zeit der Mitte 90er zurück zu denken, in der ich zwar auch als Besucherin im Posthof war, aber mit einer Kollegin lieber an temporär ausgerufenen Orten des künstlerischen Experiments eine „Rauminstallation mit 2D-Brille“ aufgebaut habe, oder ein Tanzexperiment mit Biophysikern und Tänzerinnen veranstaltet habe, in dem alle eine Stunde lang das gemacht haben, was sie nicht gelernt haben – als Beitrag zur damals recht populären Interdisziplinarität. Erst viel später haben meine Kollegin Doris Jungbauer und ich begonnen, abendfüllende Produktionen für den Posthof zu erarbeiten, unter anderem eine Produktion namens „Messie Balls“, eine kritisch-humoreske Anmerkung zum Thema „Erinnerung als brüchiger Dance-Floor“, und gleichzeitig mit dem Impetus der performerischen Botschaft: „Dance the critical Mess“. Dies als kleiner persönlicher Exkurs im Sinne des gedanklichen Treibens … und so manche eigene künstlerische Arbeit hat mittlerweile auch Konnexe zum Hafengebiet selbst entwickelt, namentlich etwa zu Schwemmland. Alte Zeiten, neue Zeiten, vieles gäbe es noch zu einer erweiterten, zeitgenössischen „Zeitkultur am Hafen“ anzuführen. Was konkrete Tanzproduktionen im Posthof betrifft, um wieder darauf zurückzukommen, empfehle ich, auch im Sinne eines Treibens, die Archivseiten des Posthofes, zum Beispiel Stichwort Tanztage. Die lokale Szene der letzten Jahre firmiert unter Labor. Damit der tatsächliche Ausstieg aus dem Tanz. Der Hafen soll nun umgestaltet werden. Der Posthof könnte sich auch hier, sozusagen zu seinem 30er, noch einmal neu positionieren. Eine Chance läge allemal darin, den Standort Posthof erweitert in einen Außenraum zu denken. Dies alles also im Bewusstsein der Umgestaltung. Und in einer wahrscheinlich breit geteilten Vermutung, dass sich die künstlerischen und lebensweltlichen Zusammenhänge weiterhin derart umfassend und rapide umbauen wie in diesem vorherigen Zeitsprung angedeutet. In diesem Sinn sind weniger Fragen nach dem Tanz oder sonst einer Sparte relevant, sondern die Fragen nach der Art der zeitgenössischen Produktion, oder sagen wir, zumindest die Herstellung von gewissen Fragerichtungen, Bedingungen oder Settings, die in Zukunft umso konsequenter auf allen Ebenen mitgedacht werden müssen. Damit wir – und dieses „wir“ ist in einem generellen Sinn gemeint – nicht nur Oberflächen zu konsumieren gezwungen sind.